Wenn für die Erforschung des physikalischen Theils der Tonkunst die Mathematik einen
unentbehrlichen Schlüssel liefert, so möge im fertigen Tonwerk hingegen ihre Bedeutung
nicht überschätzt werden. In einer Tondichtung, sei sie die schönste oder die schlechteste,
ist gar nichts mathematisch berechnet. Schöpfungen der Phantasie sind keine Rechenexempel.
Alle Monochord-Experimente, Klangfiguren, Intervallproportionen u. dgl. gehören nicht
hierher, das ästhetische Bereich fängt erst an, wo jene Elementarverhältnisse in ihrer
Bedeutung aufgehört haben. Die Mathematik regelt blos den elementaren Stoff zu geistfähiger
Behandlung und spielt verborgen in den einfachsten Verhältnissen, aber der musikalische
Gedanke kommt ohne sie ans Licht. Wenn Oerstedt fragt: „Sollte wohl die Lebenszeit
mehrerer Mathematiker hinreichen, alle Schönheiten einer Mozart schen Symphonie zu
berechnen?“ so bekenne ich, daß ich das nicht verstehe. Was soll denn oder kann berechnet
werden? Etwa das Schwingungsverhältniß jedes Tones zum nächstfolgenden, oder die Längen
der einzelnen Perioden gegen einander, oder was sonst? Was eine Musik zur Tondichtung
macht, und sie aus der Reihe physikalischer Experimente hebt, ist ein Freies, Geistiges,
daher unberechenbar. Am musikalischen Kunstwerk hat die Mathematik einen ebenso kleinen,
oder ebenso großen Antheil, wie an den Hervorbringungen der übrigen Künste. Denn Mathematik
muß am Ende auch die Hand des Malers und Bildhauers führen, Mathematik webt im Gleichmaß
der Vers- und Strophenlängen, Mathematik im Bau des Architekten, in den Figuren des
Tänzers. In jeder genauen Kenntniß muß die Anwendung der Mathematik, als Vernunftthätigkeit,
eine Stelle finden. |
Wenn für die Erforschung des physikalischen Theils der Tonkunst die Mathematik einen
unentbehrlichen Schlüssel liefert, so möge im fertigen Tonwerk hingegen ihre Bedeutung
nicht überschätzt werden. In einer Tondichtung, sei sie die schönste oder die schlechteste,
ist gar nichts mathematisch berechnet. Schöpfungen der Phantasie sind keine Rechenexempel.
Alle Monochord-Experimente, Klangfiguren, Intervallproportionen u. dgl. gehören nicht
hierher, der ästhetische Bereich fängt erst an, wo jene Elementarverhältnisse in ihrer
Bedeutung aufgehört haben. Die Mathematik regelt blos den elementaren Stoff zu geistfähiger
Behandlung und spielt verborgen in den einfachsten Verhältnissen, aber der musikalische
Gedanke kommt ohne sie ans Licht. Wenn Oerstedt fragt: „Sollte wohl die Lebenszeit
mehrerer Mathematiker hinreichen, alle Schönheiten einer Mozart schen Symphonie zu
berechnen?“ so bekenne ich, daß ich das nicht verstehe. Was soll denn oder kann berechnet
werden? Etwa das Schwingungsverhältniß jedes Tones zum nächstfolgenden, oder die Längen
der einzelnen Perioden gegen einander, oder was sonst? Was eine Musik zur Tondichtung
macht, und sie aus der Reihe physikalischer Experimente hebt, ist ein Freies, Geistiges,
daher unberechenbar. Am musikalischen Kunstwerk hat die Mathematik einen ebenso kleinen,
oder ebenso großen Antheil, wie an den Hervorbringungen der übrigen Künste. Denn Mathematik
muß am Ende auch die Hand des Malers und Bildhauers führen, Mathematik webt im Gleichmaß
der Vers- und Strophenlängen, Mathematik im Bau des Architekten, in den Figuren des
Tänzers. In jeder genauen Kenntniß muß die Anwendung der Mathematik, als Vernunftthätigkeit,
eine Stelle finden. |